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Laufen für die Hoffnung

Das nächtliche feine Zittern der rechten Hand und des rechten Beins, sporadische kurze, aber immer häufiger wiederkehrende Wortfindungsprobleme bzw. Sprachaussetzer, sowie anfallsartige, einer Migräne gleichende Kopfschmerzattacken, die sich häufig genauso schnell verflüchtigten, wie sie auftraten, waren zu den unseligen Begleitern meiner Frau Birgit und unseres Alltags geworden.
Die Beschwerden hatten seit 2010 schleichend Einzug gehalten in unser Leben und verstärkten sich ab dem Jahr 2012 zunehmend. Die Ärzte fanden keine Ursache: Fibromyalgie, Morton Neurom, Parkinson, Multiple Sklerose – immer wieder war der Befund negativ. Einerseits stets eine Erleichterung, bedeutete die vergebliche Suche nach den Ursachen für Birgits Beschwerden auf der anderen Seite auch, dass keine Besserung eintrat.

 

Es blieb uns nichts anderes übrig, als uns mit der Situation zu arrangieren und Einschränkungen in Kauf zu nehmen. So fuhren wir an sonnigen Tagen kaum mehr gemeinsam in die Berge – diese langjährige und liebgewonnene Tradition blieb nun zunehmend mir und unseren beiden Kindern vorbehalten. Die hohe Sonneneinstrahlung in und die Höhenunterschiede beim Bergwandern lösten bei Birgit schon bei der Anreise auf den steilen Passstraßen hämmernde, pulsierende Kopfschmerzen aus, zu denen sich alsbald auch noch große Übelkeit einstellte. Der Druckausgleich funktionierte nicht mehr. Ein Schlüsselerlebnis war eine Seilbahnfahrt auf den Tegelberg in Füssen. Kreidebleich und beinahe apathisch stieg Birgit nach der nur 15-minütigen Fahrt auf der Bergstation aus der Gondel. Spätestens dort fiel unser Entschluss, auf derartige „Heldentaten“ zukünftig zu verzichten. Keine Ausflüge ins Gebirge, keine Autofahrten über steile Serpentinen, keine laute Musik, keine Kinofilme mit wilden akustischen und visuellen Effekten mehr – wir passten uns der Erkrankung, für die wir keinen Namen hatten, an. Man kann gut damit leben, es gibt Schlimmeres – aber die Unwissenheit über die Ursachen der Beschwerden nagte an uns.

Endlich Gewissheit

Im Juni 2016 sollte schließlich ein letzter Untersuchungstermin stattfinden: Eine Magnetresonanztomographie des Kopfes. An diesem Morgen stand mir ein langer Bürotag bevor. Mitten in einer Sitzung rief meine Frau mich an. Ich eilte in mein Büro, um in Ruhe mit ihr sprechen zu können. Sprachlos nahm ich die Hiobsbotschaft wahr: Da ist ein Befund, das MRT zeigt einen Schatten. Ein Hirntumor, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Gliom. Birgit müsse umgehend in die Klinik in die Neurochirurgie und dort würde man das weitere Vorgehen abklären. Sie war ganz ruhig, als sie mit mir sprach. Analytisch. Als Naturwissenschaftlerin ist meine Frau es gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Ich konnte sogar eine gewisse Erleichterung spüren: Die jahrelange Suche hatte ein Ende. Weder mein Kopf, noch mein Herz hatten eine angemessene Reaktion parat. Ich brachte mein Meeting zu Ende, ich wollte so schnell wie möglich nach Hause und Birgit beistehen.

 

Wir begannen sofort, uns im Detail über die Verdachtsdiagnose zu informieren. Als Chemiker beschäftige ich mich seit Jahren mit der Bestimmung von Struktur und Funktion tumorrelevanter Biomoleküle. Wir wussten also sehr schnell, was die Uhr geschlagen hat und machten uns keine Illusionen über die Tragweite des Befundes. Trotz der niederschmetternden Aussicht versuchten wir in den nächsten Tagen, möglichst die Routine des Alltags zu erhalten, normal weiterzuleben und uns auf einen Krankenhausaufenthalt und eine Operation einzustellen.

 

Die endgültige Auswertung der MRT-Bilder  brachte Gewissheit: Verdacht auf ein niedriggradiges Gliom, links temporal, operabel. Wir entschieden uns auf ärztlichen Rat hin umgehend für eine Resektion, eine Wach-OP, da das die Chancen auf vollständige Entfernung bei gleichzeitig bestmöglicher Erhaltung aller Gehirnfunktionen maximieren sollte. Birgit dachte dabei weniger an sich selbst und das, was auf sie zukam, ihr ging es vor allem um die Kinder. Es galt, alles zu tun, um die Lebenszeit mit der Erkrankung zu verlängern. Für meine Frau war und ist es das Wichtigste, den Kindern solange wie möglich zur Seite stehen zu können.

Es wird ernst

Dann ging alles ganz schnell, der Eingriff wurde kurzfristig anberaumt. Am OP-Tag nahm ich mir frei, Aufregung und Anspannung machten den Gedanken an Büro, Arbeit und Alltag unmöglich. Nachdem die Kinder zur Schule aufgebrochen waren, joggte ich durch den Wald, versuchte ruhig zu werden und sprach in Gedanken zu Birgit. Meine Schwiegermutter war angereist, damit ich so viel Zeit wie möglich im Krankenhaus verbringen konnte. Warten ist nicht meine Stärke. Stunden zu früh brach ich deshalb Richtung Krankenhaus auf, um dort zu warten. Am frühen Nachmittag kam endlich der erlösende Anruf der Oberärztin: Die Operation war vorüber, alles war gut gelaufen, der Tumor konnte vollständig entfernt werden. Ich solle stolz auf meine Frau sein, sie habe bei der Wach-Operation perfekt mitgemacht.

Zwei Stunden später durfte ich Birgit endlich auf der Intensivstation sehen. Als ich ins Zimmer trat, sah sie müde und erschöpft aus, wirkte etwas verwirrt. Ihr Gesicht war geschwollen, aber ihr Kampfgeist ungebrochen. In ihrem Blick konnte ich erkennen, dass sie bereit war, den Weg, der vor ihr lag, mit aller Entschlossenheit zu gehen. Ich merkte, wie unwohl sie sich auf der Intensivstation fühlte. Doch zunehmend gelang es ihr, zur Ruhe zu kommen, sogar zu schlafen.

 

Ein paar Tage später lagen die klinischen und molekularbiologischen Befunde vor: Die Diagnose lautete nun diffuses Astrozytom WHO-Grad II. Wir schöpften neuen Mut. Sehr häufig werden bei Hirntumoren von Patienten, die älter als 40 Jahre alt sind, höhergradige Anteile und/oder ungünstige molekulare Signaturen im Tumor gefunden. Nicht so in unserem Fall. Wir wussten, dass das – im Rahmen dessen, was wir erwarten konnten – ein ausgezeichnetes Ergebnis war. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit von Rezidiven sowie die Gefahr der Malignisierung uns bewusst sind sehen wir doch eine reelle Chance, unsere Kinder bis zum Erwachsensein gemeinsam zu begleiten.

Ein Lebens-Lauf für Birgit

Seit der Diagnose verbringen wir mehr Zeit miteinander, achten auf unsere gemeinsamen Momente der Nähe. Die Krankheit hat uns neu zusammengeschweißt, die Prioritäten verschoben. Die Intensität unserer Liebe spüre ich stärker denn je und ich bin stolz, an Birgits Seite sein zu dürfen. Wir haben uns etwas zurückgezogen. Zu Hause geht es uns am besten. Unser Garten, die Natur, Tiere und Pflanzen sind ein Ausdruck von Lebensfreude und Lebenskraft. Birgit findet bei der Gartenarbeit zu innerer Ruhe, zu sich selbst. Gleichzeitig schafft sie ein Kleinod für die Familie, einen Hort des Friedens und des Ausgleichs.

 

Auch ich möchte meiner Frau ein Ruhepol und Anker sein, ihr Hoffnung und Zuversicht schenken. Gemeinsam geben wir den dunklen Gedanken keine Chance. Jedes Leben endet mit dem Tod, und deshalb wollen wir mutig nach vorne blicken, jeden Tag als Geschenk annehmen und jeden Tag bewusst leben!

 

Und wir sehen Zeichen der Hoffnung: Seit der Operation sind die quälenden Symptome der letzten Jahre verschwunden, meine Frau lebt seit dem Eingriff ein Leben ohne nächtlichen Tremor, ohne Kopfschmerzen und ohne Sprachaussetzer.

Seit meiner Kindheit ist das Langstreckenlaufen die Grundlage für mein seelisches Gleichgewicht. Daran hat sich auch jetzt nichts geändert und ich gehe auch bei Wind und Wetter jeden Tag hinaus. Der Lauf durch Wiesen und Wälder  gibt mir die nötige Kraft, die ich brauche, um Birgit auf ihrem Weg begleiten zu können. Die Natur tut mir gut. Ich nehme die stille Schönheit der Schöpfung tief in mir auf. Mein Herzschlag, meine Atmung und meine Bewegungen sind im Einklang. Ich laufe gerne auf unbekannten Pfaden, suche mir meinen eigenen Weg, lasse mich leiten von meiner Intuition. Ich lebe den Moment und finde zurück zum Wesentlichen.

 

Diese Energie, dieses Gefühl der Stärke, der Kraft und der Schönheit der Schöpfung gebe ich an meine Frau weiter. Jeden Kilometer den ich laufe, laufe ich für sie. Als ein Zeichen meiner Liebe und meiner Verbundenheit mit ihr, meiner Solidarität und Beständigkeit, meiner Zuneigung und meiner Bewunderung für sie.

 

Beim Marathonlaufen, insbesondere auf Trails und in den Bergen, spüre ich, wie viel Kraft und Energie in einem Menschen steckt, wie sehr sich das Kämpfen lohnt und dass man immer wieder über sich hinauswachsen kann. Es ist mein Versuch, Birgit auf ihrem Weg zu inspirieren und zu stützen. Wir wissen, wie kostbar der Moment ist. Wir wollen keine Zeit verschenken. Wir sind bereit für unseren Lebensweg und wir gehen diesen Weg mit Mut und Dankbarkeit.

 

Peter F.

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